„Ist Arbeit ein Bedürfnis?“, um diese Frage dreht sich die Folge mit Jakob. Wir sprechen über unsere Einstellung zum Thema „Arbeit“ und haben beide einen Text vorbereitet, den wir als Einstieg in das Thema vorlesen.
Jakob’s Text
Ist Arbeit ein Bedürfnis? Laut dem Duden bedeutet Bedürfnis entweder ein Wunsch, ein Verlangen nach etwas; Gefühl, jemandes, einer Sache zu bedürfen, jemanden, etwas nötig zu haben oder es ist eine [materielle] Lebensnotwendigkeit; etwas, was jemand [unbedingt] zum Leben braucht (Definition „Bedürfnis“). Die Definitionen sind etwas sperrig aber sie sagen beide aus, dass ein Bedürfnis etwas ist, nach dem man sich sehnt oder das man braucht.
Immer wieder hört man, dass Menschen die Arbeit brauchen, um einen Sinn im Leben zu haben, um sich nicht nutzlos zu fühlen. Aber man hört auch von Menschen, die an ihrer Arbeit kaputt gehen, die sich darauf freuen, endlich in Rente zu gehen oder die frühzeitig aus dem Arbeitsleben ausscheiden, weil sie psychisch oder physisch nicht mehr können.
Ist Arbeit jetzt ein Bedürfnis oder eine Qual? Ich glaube, Arbeit ist für die einen etwas, das ihre Bedürfnisse befriedigt und für die anderen kann es eine Qual sein. Laut Maslow kann man die Bedürfnisse wie eine Pyramide ordnen. Das Fundament bilden die Grundbedürfnisse, das sind Bedürfnisse wie Essen, Trinken und Schlafen. Darüber sind die Sicherheitsbedürfnisse. Damit ist gemeint, dass man ein Bedürfnis hat, vor psychischer und physischer Gefahr sicher zu sein. Auf die die Sicherheitsbedürfnisse folgen die sozialen Bedürfnisse. Darunter fallen Anerkennung und soziale Beziehungen, wie Freundschaften. Über die Stufe der sozialen Bedürfnisse kommt die Stufe der Wertschätzung. Menschen bedürfen hin und wieder ein Lob oder einer anderen Form der Wertschätzung. Die letzte Stufe bildet die Selbstverwirklichung. Wie die Selbstverwirklichung aussieht, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Für Maslow bedeutet es das Ausschöpfen des eigenen Potentials. Voraussetzung ist, dass man alle vorherigen Stufen erfüllt hat (Die Maslowsche Bedürfnispyramide).
Als ich mir durchgelesen habe, was in dieser Bedürfnispyramide steckt, ist mir der Gedanke gekommen, dass manche Menschen die Arbeit brauchen, um diese Bedürfnisse zu befriedigen. Sie müssen abreiten, um Essen und Trinken zu kaufen. Sie brauchen die Arbeit, um finanziell abgesichert zu sein, um ein haus oder eine Wohnung zu haben in der man sicher ist oder sich scher fühlen kann. Auf der Arbeit lernen viele Menschen neue Freunde kennen oder es entwickeln sich auch Liebesbeziehungen. Auch Wertschätzung erleben wir auf der Arbeit. Man bekommt einen Bonus ausgezahlt für gute Arbeit oder man wird befördert. Und einige Menschen können sich auf der Arbeit auch selbstverwirklichen. Sie finden etwas wofür sie bestimmt sind, was sie gut können, was ihnen das Gefühl gibt einen Sinn im Leben zu haben, etwas Sinnvolles zu tun. Alles in allem würde ich sagen, dass Arbeit kein Bedürfnis ist, sondern für manche Menschen ein Werkzeug ist, was dazu dient ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Die Arbeit kann für manche Menschen alles bedeuten. Aber anderen Menschen verwehrt sie es ihre Bedürfnisse zu erfüllen. Sie verdienen zu wenig Geld, arbeiten so viel, dass sie keine Zeit für Freunde haben, ihre Arbeit erscheint ihnen sinnlos und es gibt keine Form der Wertschätzung für das was sie tun.
Vazi’s Text
Es mag überheblich klingen, jedoch kann ich mir heute beim besten Willen nicht mehr vorstellen, meine kostbare Lebenszeit in einem Bullshit Job zu verschwenden. Ich bin 21 Jahre alt, habe mehrere Operationen am Gehirn überstanden und musste bereits im Alter von 12 Jahren monatelang mein Leben ringen.
Meine Jugend verbrachte ich überwiegend im Rollstuhl und ich habe all diese Herausforderungen weggesteckt, als wäre es nicht mehr gewesen, als ein Schnupfen. Ich war immer schon der Sonnenschein, das macht mich aus. Humor ist eine Form der Verarbeitung, in meinen Augen die wertvollste, die es gibt. Humor bedeutet trotzdem lachen.
Die Ironie des Lebens das ist mein vermeintlicher Traumjob war, der mich hat depressiv werden lassen, wie mein Psychiater vor kurzem diagnostizierte. Ganz ehrlich, ich war erleichtert über diese Diagnose. Endlich war ich auch offiziell depressiv, offiziell krank, Direkt muss ich wieder an Till Raether denken, der in seinem Buch „Bin ich schon depressiv, oder ist das noch mein Leben?“ über seine Depression spricht und genau wie Kurt Krömer die Emotionen beschreibt, die auch in mir wüteteten.
Zu meinem Freund sagte ich kurz nachdem ich meine Stelle im Bereich Behindertenpolitik angetreten hatte: „Wenn das hier bedeutet, zu arbeiten, dann will ich nie wieder arbeiten.“. Zum Zeitpunkt meiner Krankschreibung war ich am absoluten Tiefpunkt angelangt. Ich bin morgens nicht aus dem Bett aufgestanden und hatte mir 14 von den 17 Kilo, die ich mir im vergangenen Jahr voller Elan und Lebensfreude abtrainiert hatte, wieder angefressen.
Ich hatte Angst vor allem. Angst davor, meinen Job und die damit verbundene Sicherheit und die Privilegien aufzugeben, die man als Beamtin nun mal genießt. Ich hatte Angst davor, meine Freunde zu treffen; Angst davor, mal wieder rauszugehen und etwas mit Menschen zu machen. Ich konnte nicht einmal mehr guten Gewissens Spaß haben oder einfach nichts tun, so groß war der Druck, so groß war die Scham, versagt zu haben. Die Strukturen haben mich glauben lassen, ich könne eigentlich gar nichts. Ich war es, die sich dafür geschämt hat, bereits nach 2 Monaten als frisch absolvierte Staatsdienerin nicht mehr leistungsfähig zu sein. Ich habe mich kaum wiedererkannt. Ich bin eine Powerfrau, ich bin ein Beziehungsmensch, ich wusste, ich bin so viel, aber die Frau, die ich Anfang Mai war, die war mir fremd und die wollte ich nicht länger sein.
„Misstrauen ist ein Zeichen von Schwäche“ – Mahatma Gandhi
Ich bin niemand, der sich von der Angst steuern lässt. Diese Hilflosigkeit hat mich krank gemacht. Ich hab täglich tausende neue Ideen – viel davon albern, einige echt gut – jedoch schieß nichts davon auf offene Ohren, im Gegenteil. Nach der ersten Woche schrieb ich bereits in mein Tagebuch: „Ich muss hier raus, hier gehöre ich nicht hin! Meine Frohnatur wird mir hier genommen werden.“
Wenn arbeiten also bedeutet, in starken Hierarchien dauerhaft weit unterhalb der eigenen Möglichkeiten und unter vollster Kontrolle und Überwachung jegliche Handlungen ausschließlich ausführen zu dürfen, die andere an mich verfügen, unabhängig davon, ob ich diese Tätigkeiten für sinnvoll halte oder nicht, dann kann ich heute stolz von mir behaupten, dass diese Art der Arbeit mir ganz sicher kein Bedürfnis ist.
Wenn Arbeit bedeutet, dass erst mit steigendem Dienstgrad die Relevanz der eigenen Aussagen steigt, dann bin ich lieber ein Niemand, der die Gleichgesinnten noch liebevoll und wertschätzend behandeln kann.
Wenn arbeiten bedeutet, zu leisten, ohne etwas von Bedeutung zu tun, dann bin ich lieber eine Schmarotzerin. Heute kann ich ehrlich mit mir sein und sagen, dass ich in den letzten Monaten der Krankschreibung mehr Sozialpolitik machen konnte als es mir in den nächsten 10 Jahren beruflicher Laufbahn innerhalb der Exekutive möglich gewesen wäre.
Sozialpolitik zu leben, ist keine Arbeit, es ist eine persönliche Entscheidung.
Fachkräftemangel, insbesondere in der Pflege
Weiterhin diskutieren wir über soziale Ungerechtigkeit in Bezug auf den Bereich der Pflege und sprechen über den Fachkräftemangel. Aus der hitzigen Debatte gehen viele Fragen hervor, auf die wir uns in weiteren Folgen Antworten erhoffen.
- Wie ist es zu diesem Fachkräftemangel gekommen?
- Wieso fehlen so viele Pflegekräfte, wo der demografische Wandel doch seit Jahren bekannt ist? Liegen die Probleme woanders, wenn ja: Wo?
Geplant habe ich hierfür, Betroffene und Expertinnen zu Wort kommen zu lassen. Derzeit arbeiten Jakob und ich noch an dem Konzept und planen, das Thema „Fachkräftemangel in der Pflege“ als erste alleinstehende kleine Staffel zu organisieren. Hier sollen dann mehrere Folgen hintereinander Antworten auf Fragen liefern, die für viele Menschen derzeit unerklärlich scheinen.
Aus allen Ecken schallt es „Die Politik hat versagt! Seit Jahren hat sich in der Pflege nichts getan und jetzt gibt es die Quittung dafür!“, aber ist dem wirklich so? Was macht Politik denn derzeit? Welche Maßnahmen werden ergriffen und weshalb wächst der Unmut trotzdessen stetig? Was sollte aus Sicht der Betroffenen – Pflegekräften und Pflegepersonen – geschehen?
Quellen zur Folge
Mein Gast Jakob: Jakob’s Instagram
Bedingungsloses Grundeinkommen:
- Ausschnitt aus meiner Folge: Lanz und Precht – Folge 36
- 13 Fragen: Brauchen wir ein bedingungsloses Grundeinkommen für mehr Gerechtigkeit?
- „Grundeinkommen? Nein, danke! – WOHLSTAND FÜR ALLE Ep. 67“
- Buch: Utopien für Realisten – Rudger Bregmann
42 Stunden-Woche:
- meine Quelle aus der Folge
- 42-Stunden-Woche? Gabriel fordert Mehr-Arbeit – und prophezeit „zehn anstrengende Jahre
Fachkräftemangel:
- Der Notstand in der Pflege: „Warum sich die Situation in der Pflege noch nicht verbessert hat“
- die Podcast-Folge, die ich angesprochen habe: Hintergrund Deutschlandfunk: „Pflegende im Krankenhaus – Die Überlastung hat System“
- Beschäftigte des öffentlichen Dienstes nach Aufgabenbereichen
- Studie 2022: „2030 fehlen mehr als 1 Million Fachkräfte – ohne geeignete Gegenmaßnahmen“
Podcast-Empfehlungen:
- Betreutes Fühlen mit Atze Schröder und Leon Windscheid
- Wohnstand für alle mit Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt
- Die Neuen Zwanziger mit Stefan Schulz und Wolfgang M. Schmitt
Buchempfehlungen:
- Reinhard Haller – Die dunkle Leidenschaft: Wie Hass entsteht und was er mit uns macht (Lebenshilfe)
- Don Quijote: Der sinnreiche Junker Don Quijote von der Mancha
- Bullshit Jobs: Vom wahren Sinn der Arbeit
- Arbeit: Warum sie uns glücklich oder krank macht
- Die Altenrepublik von Stefan Schulz
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